
Lernen mit FASD
Inhalt:
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Verhalten deuten
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Kommunikation anpassen
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Struktur schaffen
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Emotionale Unterstützung
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Ein Viertel der Schüler mit FASD verlässt die Schule ohne Abschluss, nur etwa 40% schaffen den Hauptschulabschluss. Man geht davon aus, dass nur ein Drittel der Betroffenen später ein selbständiges Leben führen wird.
Den Leistungsanforderungen der Schule gerecht zu werden, ist für die Betroffenen offensichtlich eine große Herausforderung. Schauen wir uns also an, wie sich die Fetale Alkoholspektrumsstörung auf die Lernfähig und den Schulalltag auswirkt.
Die Bedeutung der Exekutivfunktionen bei FASD
Die weitreichendsten Behinderungen im Alltag und damit auch in der Schule erleben die von FASD betroffenen Kinder und Jugendlichen durch die eingeschränkten „Exekutivfunktionen“. Unter diesem sperrigen Begriff versteht man die Auswahl und Durchführung von Plänen. Dazu benötigt man Kenntnis der geeigneten Schritte die zum gewünschten Ergebnis führen und die Fähigkeit, die geeigneten von den ungeeigneten Schritten zu unterscheiden. Dann müssen die einzelnen Schritte in eine sinnvolle Reihenfolge gebracht werden. Sollten sich die Umstände ändern oder kommen neue Informationen hinzu, muss der Plan gegebenenfalls noch angepasst werden.
Auch der Faktor Zeit spielt dabei eine Rolle, denn für die meisten Tätigkeiten gibt es einen mehr oder weniger festgelegten Zeitrahmen.
Von FASD betroffene Menschen können genau das häufig nicht so gut. Sie haben oft ein schlechtes Gedächtnis und können sich die einzelnen Arbeitsschritte nicht merken. Dadurch fällt es ihnen auch schwer, aus Erfahrung zu lernen. Dies führt wiederum zu einem eingeschränkten Urteilsvermögen, was zusätzlich die richtige Auswahl des nächsten Arbeitsschrittes erschwert. Die geringe Flexibilität im Denken führt dazu, dass eine Anpassung der Handlung an sich ändernde Umstände häufig misslingt. Je anspruchsvoller die Handlung ist, desto mehr fallen die Defizite auf.
Da die Betroffenen oftmals auch kein gutes Zeitgefühl haben, wissen sie oft nicht, wann sie eine Aufgabe oder Teilschritte davon beenden können oder sollen.
Aufmerksamkeitsstörungen
Zusätzlich erschwert wir die Ausführungen von Handlungen noch durch Störungen der Aufmerksamkeit, die dazu führen dass die Kinder sehr leicht ablenkbar sind und nicht lange bei der Sache bleiben. Viele der von FASD betroffenen Kinder leiden auch unter AD(H)S.
Wahrnehmungsstörungen
Möglicherweise kommen auch noch verschiedene Wahrnehmungsstörungen hinzu. Diese können zur Folge haben, dass die Kinder vieles, was um sie herum herum passiert, gar nicht oder zumindest unvollständig registrieren. Somit kann es sein, dass bereits das Fundament, auf dem eine erfolgreiche Handlung basiert, fehlt.
Störungen der räumlich-visuellen Wahrnehmung können dazu führen, dass die Kinder sich auf dem Schulweg verlaufen oder Wege von einem Klassenraum zum nächsten nicht finden oder Räumlichkeiten nicht wiedererkennen. Es fällt ihnen schwer, sich vor dem Sportunterricht selbständig umzukleiden. Das Lesen und Schreiben lernen gestaltet sich schwierig, weil sie die Buchstaben nicht sicher unterscheiden können. Auch das Ablesen der analogen Uhrzeit ist abhängig von den visuellen Leistungen.
Eine Störung der auditiven Wahrnehmung kann dazuführen, dass das Kind den Lehrer vor einer unruhigen Geräuschkulisse nicht versteht. Oder es kann die Geräuschquelle nicht lokalisieren und erkennt nicht ob oder von welcher Seite es gerade angesprochen wird. Vielleicht ist auch sein auditives Gedächtnis eingeschränkt und es kann sich zu wenig von dem, was es gehört hat, merken.
Störungen der Körperwahrnehmung können dazu führen, dass dem betroffenen Kind Hunger, Durst oder Kälte nicht bewusst werden und es sich in dieser Hinsicht nicht richtig versorgt. So entstehen ungünstige Voraussetzungen zum Lernen. Hygieneunfälle sind möglich, wenn das betroffene Kind nicht spürt, wenn es auf die Toilette aufsuchen sollte.
Umgang mit Gefühlen
Auch im sozio-emotionalen Bereich gibt es Einschränkungen. Kindern mit FASD fällt es häufig schwer, eigene Gefühle wahrzunehmen und ihren Gefühlen rechtzeitig Ausdruck zu verschaffen. Oft staut sich etwas an, was sich dann z.B. in einem unvorhersehbaren Wutausbruch entlädt. Auch fällt es den Kindern schwer, hinterher das eigene Verhalten begründen zu können. Die Kinder sind häufig impulsiv und wechselhaft.
So, wie sie ihre eigenen Gefühle nicht erkennen, gelingt es ihnen auch nicht, die Gefühle der Mitmenschen zu erkennen. Dadurch verstehen sie die Gründe für das Verhalten der anderen nicht und können deren Verhalten in verschiedenen Situationen nicht vorhersagen.
Häufig schätzen sie Situationen und Beziehungen falsch ein. Sie sind leicht beeinflussbar und können leicht manipuliert oder ausgenutzt werden. Das Nähe-Distanzverhältnis ist gestört und es fällt den Kindern schwer, Kontakte herzustellen und Freundschaften zu schließen.
Verzögerte Sprachentwickelung
Die verzögerte Sprachentwicklung macht es den Kindern dann auch nicht leichter. Defizite bestehen in Bezug auf Wortschatz, Satzbau und Artikulation, häufig bei gesteigertem Redebedürfnis. Möglicher Weise reden die Kinder also viel und unverständlich.
Was können wir tun?
Schauen wir uns nun an, wie wir dem betroffenen Kind im Schulalltag und bei dem Erledigen der Hausaufgaben im häuslichem Umfeld helfen können.
Verhalten richtig deuten
Das aller Wichtigste ist erst einmal, das Verhalten der Kinder und Jugendlichen zu verstehen. Betroffene berichten häufig, sie fühlen sich oft missverstanden und dadurch ungerecht behandelt. In vielen Situationen gelingt es ihnen nicht den Erwartungen der Lehrer oder der Eltern gerecht zu werden. Das sichtbare Verhalten wird dann fehlinterpretiert und es kommt zu Konflikten.
Kann das Kind beispielsweise Anweisungen nachsprechen aber nicht ausführen, wird ihm möglicher Weise unterstellt, es sei faul oder suche nach Aufmerksamkeit. Es kann aber sein, dass es die einzelnen Arbeitsschritte nicht erkennt oder nicht in die richtige Reihenfolge bringen kann. Anstatt Kritik benötigt es Hilfe bei der Strukturierung der Aufgabe.
Die Hausaufgaben werden häufig nicht notiert, und das liegt oft nicht daran, dass das Kind faul ist, sondern daran, dass es den Zeitpunkt, an dem der Lehrer die Aufgaben ausspricht oder an die Tafel schreibt, schlicht und einfach verpasst.
Kommunikation anpassen
Wenn wir uns vor Augen führen, das die Kinder nicht so sehen, nicht so hören und nicht immer so bei der Sache sind, wie wir es erwarten, wird schnell klar, dass wir unser Kommunikation den Fähigkeiten der Kinder anpassen müssen.
Zunächst einmal müssen die Kinder bemerken, dass sie überhaupt angesprochen werden. In einem lauten Klassenraum oder im Spiel mit anderen Kindern, kann das schon mal untergehen. Um die Aufmerksamkeit der Kinder auf uns zu lenken, kann es erforderlich sein, sich in des Gesichtsfeld der Kinder zu stellen oder ihnen zuzuwinken, wenn wir weiter weg stehen. Wir können sie auch an der Schulter berühren oder auf den Tisch klopfen. Mit anderen Worten: Wir setzen deutliche Signale in den verschiedenen Wahrnehmungskanälen.
Genau so können wir auch den Inhalt des Gesagten besser transportieren:
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Wir unterstützen das gesprochene Wort durch Mimik und Gestik.
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Schlüsselwörter heben wir durch Betonung hervor oder das Anheben der Lautstärke.
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Ermutigende Worte können wir durch einen Daumen nach oben unterstreichen.
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Anweisungen sollten kurz sein und nur wenig Informationen auf einmal enthalten: Willst Du etwas trinken? (Pause) Sprudel? (Pause) Kakao?
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Benutzen Sie einfache Wörter.
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Benutzen Sie immer die gleichen Wörter.
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Wenn ihnen das bereits gelungen ist und das Kind weitere Unterstützung benötigt, wiederholen Sie das Gesagte.
Struktur schaffen
Wir wissen jetzt also, dass wir uns bemühen müssen, das Verhalten des Kindes richtig zu deuten und unsere Kommunikation den Fähigkeiten des Kindes anzupassen. Nun stellt sich die Frage, wie wir den Lernstoff aufbereiten müssen, damit die Kinder ihn lernen können.
Ein wesentlicher Aspekt dabei ist Struktur!
Das bedeutet, dass die Handlungen immer dem gleichen Ablauf folgen sollen. Der könnte z.B. so aussehen: Nach dem Mittagessen eine halbe Stunde spielen, dann werden die Hausaufgaben gemacht und zwar immer am gleichen Arbeitsplatz. Der Arbeitsplatz wird vorher aufgeräumt.
Ablenkende Gegenstände werden weggeräumt und überhaupt sollte die Umgebung reizarm gestaltet werden. Also keine Geräuschkulisse im Hintergrund, keine herumlaufenden Geschwister, kein Fernseher, der irgendwo im Hintergrund läuft.
Wenn die Ablenkungen beseitigt sind, wird die anstehende Arbeit strukturiert. Dazu wird besprochen, was zu tun ist. Dann wird eine Reihenfolge festgelegt und gegebenenfalls übersichtlich notiert. Im Anschluss werden die benötigten Gegenstände herausgelegt. Bücher und Hefte sind mit verschiedenfarbigen Schutzumschlägen versehen werden, deren Farbe dann einem bestimmten Fach zugeordnet ist. Zur Arbeitsvorbereitung und zur Vermeidung von Ablenkung während des Lernens gehört auch das Spitzen der Stifte.
Pausen einplanen
Wichtig ist auch, Pausen einzuplanen. Die Konzentrationsspanne ist bei den betroffenen Kindern häufig erheblich reduziert. Bei manchen Kinder kann es sinnvoll sein, bereits nach 10 bis 15 min schon eine kurze Pause einzulegen, z.B.um kurz aufzustehen und etwas zu trinken, um sich zu bewegen. Will man die Erledigung der Aufgaben zeitlich strukturieren, kann man auch eine Sanduhr verwenden, da diese den Zeitablauf sehr anschaulich darstellt.
Änderung vom gewohnten Ablauf sollten vorher immer angekündigt werden, da viele Kinder nur wenig flexibel sind.
Lernstoff aufbereiten
Der Lernstoff sollte in einzelne und übersichtliche Arbeitsschritte gegliedert sein. Es empfiehlt sich auch, den Lernstoff auf unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen anzubieten.
Von einer Sache, die man nur gesehen oder gehört hat, wird nur ein relativ kleiner Anteil abgespeichert. Etwas dass man einer anderen Person erklärt hat, wird schon wesentlich besser abgespeichert. Am besten wird etwas abgespeichert, dass man selbst getan hat.
Es empfiehlt sich also, die Kinder Dinge tun zu lassen, soweit dies möglich ist. Zumindest aber, kann man sich den Lernstoff vom Schüler erklären lassen.
Der Lernstoff sollte auch möglichst oft wiederholt werden. Dazu kann man auch einen Karteikasten verwenden, um Inhalte nicht aus den Augen zu verlieren.
Arbeitsblätter sollten übersichtlich gestaltet werden. Dazu kann können auch Farben verwendet werden. Es darf allerdings nicht zu bunt werden, da dies wiederum zu sehr vom Inhalt ablenken könnte. Auch sollten Arbeitsblätter nicht zu viele Informationen enthalten. Bilder sind gut geeignet um Lerninhalte zu veranschaulichen, können aber vom Text ablenken. Daher kann es hilfreich sein, Bilder und Text auf unterschiedlichen Blättern anzubieten, bzw. Bilder abzudecken.
Im Schulunterricht und beim Erledigen der Hausaufgaben ist es wichtig, darauf zu achten, dass die körperlichen Bedürfnisse der Kinder befriedigt sind. Wie bereits erwähnt, spüren betroffene Kinder häufig nicht, ob sie Hunger oder Durst haben, oder ob sie zu warm oder zu kalt haben oder auf die Toilette müssen.
Emotionale Unterstützung
Auch die emotionalen Bedürfnisse sollte nicht vernachlässigt werden. Gerade bei einer Tätigkeit, die häufig mit Frustration einhergeht, wie es beim Lernen oft der Fall ist, benötigen die Kinder Verständnis und positive Verstärkung. Diese sollte zeitnah erfolgen und nachvollziehbar sein. Der Einsatz von Belohnungssystemen bei denen Punkte gesammelt werden, die das Kind dann Tage oder Wochen später eintauschen kann, wenn genügend Punkte gesammelt sind, ist nur dann sinnvoll, wenn das Kind den Zusammenhang zwischen seinem Verhalten und der Belohnung über diesen Zeitraum nicht verliert. Vergisst das Kind die Bedeutung der gesammelten Punkte, macht ein solches System keinen Sinn.
Förderung emotionaler Kompetenzen
Auch soziale und emotionale Kompetenzen müssen gelernt werden. Genau so, wie man über den Lernstoff in Mathe, Deutsch oder Sachkunde spricht, muss auch das Gefühlsleben und der Umgang mit sich selbst und anderen Menschen thematisiert werden. Die Kinder müssen lernen, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen, bevor sie in der Lage sind, diese am Gegenüber erkennen. Nur wer seine eigenen Gefühle erkennt, ist in der Lage, die Beweggründe für das Verhalten seiner Mitmenschen zu verstehen.
Es ist also sehr wichtig über Gefühle zu sprechen. Im Familienalltag können dafür verschiedene Situationen genutzt werden. So ist es möglich, abends den Tag noch einmal Revue passieren zulassen und bei der Schilderung verschiedener Situationen zu fragen, wie sich das Kind gefühlt hat, bzw. wie sich die Situation für das Kind angefühlt hat oder wie das Kind denkt, wie die anderen beteiligten Personen diese Situation erlebt haben. Oder wenn das Kind gerade starke Gefühle erlebt. Z.B. wenn es traurig ist, bietet es sich an, darüber zu sprechen, anstatt das Kind sofort abzulenken und ihm so unbeabsichtigt die Lernmöglichkeit zu nehmen.
In der Schule können Bildkarten zu diesem Thema angefertigt werden oder Steckbriefe. Also im Sinne von: „So bin ich, wenn ich … bin.“
Für Kinder und Jugendliche sind viele gute Bücher auf dem Markt, mit denen man in das Thema einsteigen kann.
Wie wir gesehen haben, benötigen Kinder mit FASD beim Lernen und im Schulalltag Hilfe in unterschiedlichen Bereichen. Am meisten Unterstützung erfahren sie durch Verständnis für ihre Bedürfnisse und ihre Einschränkungen, sowie einer ihren kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten angepassten Struktur.
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„FASD und Schule“ - Eine Handreichung zum Umgang mit Schülern mit Fetaler Alkoholspektrumstörung von Anne Schlachtberger
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„Kinder mit FASD in der Schule“ von Laura Lüdern, Reinhold Feldmann und Johannes Jungbauer
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„Das FASD-Elternbuch“ - Hilfen und Strategien für Eltern und Kinder von Sabine Leipholz und Uwe Kamphausen
